Einige der besten deutschen Weine, darunter der wahrscheinlich beste Lemberger, kommen aus Weingütern des ältesten Stuttgarter Stadtbezirks Bad Cannstatt. Dafür ist auch die Lage verantwortlich: Die Siedlung beiderseits des Neckars wurde von den Römern gegründet, die etwas vom Weinbau verstanden und das Potenzial über dem Neckartal sofort erkannten. Zu den bedeutendsten Winzern gehören das Weinfactum und die Felsengartenkellerei, die 2019 fusionierten.
Cannstatter Originale
Alljährlich präsentiert das Stuttgarter Weindorf die Bad Cannstatter Originale, die als schwäbische Klassiker internationale Reputation genießen. Unterjährig können Liebhaber sie in der Vinothek am Römerkastell probieren, die zur Genossenschaft Weinfactum gehört. Diese vermarktet gemeinsam mit dem neuen Partner Felsengartenkellerei Besigheim und weiteren Genossenschaften wie dem Collegium Wirtemberg und der Weinmanufaktur Untertürkheim das hiesige Flaggschiff Trollinger, ein auf Maische vergorener Wein, den es als Premiumprodukt aus Holzfassgärung sowie in weiteren Marken wie Grad 6 gibt.
Solche Weine tragen die Cannstatter DNA, die heute unter fachmännischer Aufsicht etwa des Önologen Daniel Munder gepflegt wird. Dieser bestätigte gegenüber den Stuttgarter Nachrichten die einzigartige Qualität der Bad Cannstatter Weine, die inzwischen etliche Top-Platzierungen bei nationalen und internationalen Wettbewerben erhielten:
- AWC Vienna
- Berliner Wein Trophy
- World Wine Trophy
- Mundus Vini
Beim Mundus Vini der internationalen Weinakademie erhielt der Lemberger Réserve zweimal hintereinander den Preis als bester deutscher Lemberger. Das hat der Wein verdient. Seine dichten Aromen von Cassis, einem Hauch Vanille, einem dezenten Holzton, Kräutern, Wald und Brombeere lassen die Sonne über dem Neckartal erahnen, in der er gereift ist.
Trockener Sekt und Exoten aus Bad Cannstatt
Kenner schätzen unter anderem den sehr hochwertigen Riesling Brut aus Bad Cannstatt, der absolut trocken ausgebaut ist. Die Nachfrage nach solchen Sorten steigt allgemein, wie die Winzer bestätigen. Doch auch Exoten wie ein Zwei-Sterne-Chardonnay sind gefragt, der vor Frische und Frucht beinahe explodiert. Seine Klassifizierung erreicht er ebenso wie ein vollmundiger Drei-Sterne-Merlot und der am Cannstatter Zuckerle gelesene Trollinger nur durch Ertragsreduzierung im Weinberg. Die Winzer schneiden manchmal rund 50 % des Rebmaterials weg, um nur die besten Trauben für solch exklusive Sorten zu verwenden.
In den Steillagen von Bad Cannstatt kann damit der Aufwand auf das Drei- bis Vierfache gegenüber herkömmlichen Weinen steigen. Dieser Aufwand lässt sich jedoch nicht in dieser Größenordnung auf den Preis umlegen. Die Stadt Stuttgart fördert daher finanziell ihre Wengerter (Weingärtner, Winzer), doch es ist ein Problem, sie gerade in den schwierigen Steillagen zu halten. Konsumenten sollten dies vielleicht wissen: Erstklassige und damit nicht billige Weine verlangen gewaltige Anstrengungen, mit denen die Erzeuger keinesfalls reich werden. Die Stuttgarter Medien tragen daher durch ihre Publikationen dazu bei, das Image der Bad Cannstatt Weine zu fördern.
Historisches zu den Bad Cannstatt Weinen
Um das Jahr 100 n. Chr. errichteten die Römer in Cannstatt, wo schon Kelten lebten, ein großes Reiterkastell. Sie schätzten die Thermalquellen am Ort, bauten diesen aus und begannen kurz nach der Fertigstellung der Civitas mit dem Weinbau. Für diesen boten aus ihrer (berechtigten) Sicht die nährstoffreichen Muschelkalkhänge entlang des Neckars und das regionale Mikroklima mit viel Sonne und ausreichendem Regen die besten Voraussetzungen.
Nach dem Abzug der Römer legten im im frühen Mittelalter die Cannstatter Winzer im Neckartal terrassierte Weingärten an. Die Methode war über viele Jahrhunderte erfolgreich und ist es auch heute noch, wenngleich mit einem unerhörten Aufwand wie oben beschrieben. Im Jahr 1923 gründeten die Cannstatter ihre Weingärtnergenossenschaft, die im 20. Jahrhundert mehr oder minder (finanziell) erfolgreich wirtschaften konnte. Doch die internationale Konkurrenz wuchs seit den 1980er Jahren enorm. Daher mussten die Bad Cannstatter Winzer in den frühen 2000er Jahren den genossenschaftlichen Gedanken hinterfragen.
Sie modernisierten ihre Strukturen und schufen damit die Basis für den Weinbau, der Produkte auf Weingutniveau erzeugen kann. Für diese kurbelten sie die Vermarktung an, sodass sich das Einzugsgebiet der Cannstatt Weine heute beträchtlich erweitert hat. Früher kannte man sie fast nur in der Cannstatter Gemarkung. Heute werden sie national und international vertrieben. Ihren guten Ruf verdanken sie auch den oben genannten Auszeichnungen.
Lagen der Bad Cannstatt Weine
Die Trauben der Bad Cannstatt Weine reifen in württembergischen Spitzenlagen zwischen Marbach im Norden und Untertürkheim im Süden. Die absolute Premiumlage ist der Cannstatter Zuckerberg („Zuckerle“). Dessen Boden ist nährstoffreich, die Hänge sind teilweise extrem steil. Das ist für den Weinbau schwierig, die Lese erfordert überwiegend Handarbeit. Doch an steilen Hängen profitieren die Trauben von einer optimalen Licht- und Wärmeausbeute. Das günstige, nicht zu trockene Mikroklima schafft ideale Voraussetzungen für den Weinbau. Gelingen kann er aber nur mit akribischer und leidenschaftlicher Weinbergarbeit. Die anschließend sorgfältig vinifizierten Weine erreichen damit ein außergewöhnliches Niveau.